In Deutschland entfallen ca. 95% des Gesamtpotenzials zur geothermischen Stromerzeugung auf das kristalline Grundgebirge (TAB 2003). Die Stromerzeugung erfolgt in Deutschland bisher ausschließlich aus hydrothermalen Reservoiren, da zum einen die technische Erschließung der petrothermalen Potenziale noch nicht die Marktreife erreicht hat und zum anderen die Kenntnislage zum Aufbau und zu den Eigenschaften des kristallinen Grundgebirges noch unzureichend ist.
Im Rahmen der Energiewende stehen darüber hinaus zunehmend Speicherpotenziale im Vordergrund. Der Wärmeverbrauch stellt mit Anteilen zwischen 54,5 und 56,9% seit 2007 gleichbleibend den größten Anteil des Gesamtendenergieverbrauchs in Deutschland dar (BMWi 2014). In dem 2009 in Kraft getretenen Gesetz zur Förderung Erneuerbarer Energien im Wärmebereich (EEWärmeG) wird ein Anteil der Erneuerbaren Energien am Endenergieverbrauch für Wärme bis 2020 von 14% als Zielwert vorgeben. Um dieses Ziel und eine Reduktion der Treibhausgasemissionen zu erreichen, sind wegweisende Techniken in diesem Bereich daher von erheblichem Interesse. Insbesondere die Kombination erneuerbarer Energien – z. B. Solarthermie und Geothermie – und die Wärmespeicherung im mitteltiefen bis tiefen Untergrund stellen hier einen vielversprechenden Ansatzpunkt dar.
Für Hessen gibt es im Gegensatz zu den hydrothermalen Potenzialen bisher noch keine flächendeckenden Angaben über die petrothermalen oder mitteltiefen geothermischen Potenziale. Daher wurde vom Fachgebiet Angewandte Geothermie der TU Darmstadt und der Sektion 6.1: Sedimentbeckenmodellierung des GFZ Potsdam Anfang 2016 das Verbundvorhaben „Hessen 3D 2.0“ begonnen. Das Projekt wird zu 100% vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert (Förderkennzeichen: 0325944 A und B). Als assoziierte Partner unterstützen und begleiten das Hessische Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG), das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung (HMWEVL) und das Leibniz Institut für Angewandte Geophysik (LIAG) das Projekt. Hauptziel ist es in den 4 Jahren Projektlaufzeit die Verbesserung der Abschätzung des Fündigkeitsrisikos für geothermische Bohrungen in Hessen, aufbauend auf den Ergebnissen des Vorgängerprojektes Hessen 3D (Arndt et al. 2011, Bär et al. 2011, Sass und Hoppe 2011), zu erreichen.
Untergliedert in drei miteinander verzahnte Teilprojekte sollen die existierenden Datenbanken zu petrophysikalischen Gesteins-, Thermalfluid- und Reservoireigenschaften erweitert und verbesserte geothermische Untergrundmodelle erstellt werden. Dabei stehen die Prognose der petrothermalen Potenziale zur geothermischen Stromerzeugung und Heizwärmegewinnung (Teilprojekt I) sowie die Prognose der mitteltiefen Potenziale für die Direktwärmeversorgung und saisonale Wärmespeicherung im Vordergrund (Teilprojekt II). Dies wird auf Basis geologisch-geothermischer 3D-Modelle des Deck- und Grundgebirges von Hessen sichergestellt. Dabei werden die Potenziale für Enhanced Geothermal Systems (EGS) in größerer Tiefe ebenso beurteilt wie Erschließungsoptionen mit offenen und geschlossenen mitteltiefen Anlagen.
Gegenüber der bestehenden Hessen 3D Modelle (Arndt et al. 2011, Freymark et al. 2015) sollen die einzelnen petrographischen Einheiten des Grundgebirges sowie geothermisch nutzbare Reservoirhorizonte im Deckgebirge detaillierter modelliert und geothermisch parametrisiert werden. Dies ermöglicht numerische Wärmetransportsimulationen mit denen die Einflüsse der variierenden Gesteins- und Reservoireigenschaften sowie der vorherrschenden Wärmetransportmechanismen (konduktiv oder gekoppelt konduktiv-konvektiv) auf die Temperaturverteilung quantifizierbar sind. Dieser physikalisch-numerische Ansatz wird eine gegenüber dem Vorgängerprojekt „Hessen 3D“ deutlich verbesserte Qualität der Untergrundtemperaturprognose bieten (Teilprojekt III).
Daraus zu entwickelnde Potenzialprognosen für hydrothermale und petrothermale Anlagen zur Stromerzeugung sowie für offene und geschlossene Systeme zur Direktwärmegewinnung oder Speicherung werden technische und wirtschaftliche Randbedingungen berücksichtigen. Über die Kenntnis der statistischen Kennwerte der Gesteins-, Thermalfluid- und Reservoireigenschaften können Eintrittswahrscheinlichkeiten der getroffenen Prognosen quantifiziert und direkt zur mathematischen Angabe des reservoir- und nutzungsartbezogenen Fündigkeitsrisikos herangezogenen werden. Eine solche stochastische Betrachtung birgt die Möglichkeit, für zukünftige Projekte wieder eine Versicherung des Fündigkeitsrisikos zu etablieren.
Die Ergebnisse sollen abschließend an das bestehende 3D-Stadtmodell der Stadt Frankfurt a. M. und den dort dokumentierten Wärmebedarf angeknüpft werden. Zum ersten Mal werden dann energierelevante Untergrundinformationen für die größte Stadt Hessens über Suchfunktionen für Fachplaner, lokale oder regionale Energieversorger, Genehmigungsbehörden, Wissenschaftler und die interessierte Öffentlichkeit interaktiv abfragbar sein. Diese digitale Kopplung der unterirdischen Potenziale mit der überirdischen Infrastruktur kann mit Hilfe der internetbasierten Ergebnisvisualisierung zu einer vereinfachten Entscheidungsfindung beitragen. Zusätzlich sollen die Ergebnisse in das Geothermische Informationssystem von Deutschland (GeotIS) integriert werden.
Literaturhinweise:
Arndt, D., Bär, K., Fritsche, J.-G., Kracht, M., Sass, I. & Hoppe, A. (2011): 3D structural model of the Federal State of Hesse (Germany) for geopotential evaluation. – Z.dt.Ges.Geowiss., 162(4): 353-370.
Bär, K., Arndt, D., Fritsche, J.-G., Götz, A.E., Hoppe, A., Kracht, M. & Sass, I. (2011): 3D-Modellierung der tiefen-geothermischen Potenziale von Hessen – Eingangsdaten und Potenzialausweisung. – Z.dt.Ges.Geowiss., 162 (4): 371-388.
Freymark, J., Sippel, J., Scheck-Wenderoth, M., Bär, K., Stiller, M., Kracht, M., Fritsche, J.-G. (2015): Heterogeneous crystalline crust controls the shallow thermal field – a case study of Hessen (Germany). – Energy Procedia 76: 331-340.
Sass, I., Hoppe, A. [Hrsg.](2011): Forschungs- und Entwicklungsprojekt 3D Modell der geothermischen Tiefenpotenziale von Hessen. – Abschlussbericht, 218 S., TU Darmstadt. (http://www.energieland.hessen.de/mm/3-D-Modell-Hessen-Endbericht_(PDF,_7.300_KB).pdf)
TAB-Bericht: Paschen, H., Oertel, D. & Grünwald, R. (2003): Möglichkeiten geothermischer Stromerzeugung in Deutschland. – Büro für Technologiefolgen-Abschätzung beim deutschen Bundestag. 128. S.
BMWi (2014): Endenergieverbrauch nach Anwendungsbereichen. Hg. v. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie.
Ansprechpartner
Name | Kontakt | |
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Bild: Sebastian Weinert
| Sebastian Weinert M. Sc. |
Weitere Informationen
- Laufzeit: 4 Jahre (01.02.2016 – 31.01.2020)
- Zuwendungsgeber: BMWi (Förderkennzeichen: 0325944)
Verbundpartner:
- GFZ Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches Geo-Forschungszentrum, Sektion 6.1 Sedimentbeckenmodellierung, Prof. Dr. Magdalena Scheck-Wenderoth
Assoziierte Kooperationspartner:
- Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG)
- Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung (HMWEVL)
- Leibniz-Institut für Angewandte Geophysik, Sektion Geothermik & Informationssysteme (LIAG)
Unterauftragnehmer:
- virtualcitySYSTEMS (VCS)